Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten und herausfinden, was das Beste für sie ist – das ist die Aufgabe der Palliativmedizin. Mit einem Netz aus fach- und berufsübergreifenden Spezialisten stehen die Versorgung und die Bedürfnisse von schwer kranken Menschen im Mittelpunkt. Wie wichtig die Einbindung von Angehörigen ist, warum früh der Kontakt zu Palliativmedizinern hergestellt werden sollte und warum dieser schwere Beruf sehr erfüllend sein kann, haben wir den Experten Bernhard Mallmann von der Universitätsmedizin Essen gefragt.
Palliativbeauftragter
Universitätsmedizin Essen
An welchem Punkt befinden sich die Menschen, wenn sie Palliativmedizin in Anspruch nehmen?
Wer mit uns in Kontakt kommt, leidet an einer schweren chronischen Erkrankung, die sich konstant verschlechtert und zum Tode führt. Mit einer solchen Diagnose sollten Patienten, unabhängig davon, in welchem Stadium der Krankheit sie sich befinden, die Unterstützung von Palliativmedizinern in Anspruch nehmen.
Dann sind wahrscheinlich vor allem Krebserkrankte Ihre Patienten?
Die Palliativmedizin kommt aus der Tumormedizin, ist aber mittlerweile bei vielen anderen Erkrankungen gefragt: bei schweren Herzerkrankungen, ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung). Im Grunde genommen bei allen Erkrankungen, die zum Tode führen.
Gibt es einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem Palliativmedizin einsetzen sollte?
Unser Bestreben ist es, so frühzeitig wie möglich einbezogen zu werden. Wir kümmern uns natürlich um Schmerzen und Symptome, aber wichtig ist uns der ganzheitliche Ansatz. Wir betrachten alles, was den Menschen betrifft: Physis, Psyche, Spiritualität und Soziales. Schwer kranke Menschen sind ja nicht zwingend alt und betrachten ihr Leben als gelebt. Im Gegenteil: Oft haben sie mit dem Leben noch nicht abgeschlossen. Sie haben Familien, ein soziales Umfeld und auch wirtschaftliche Sorgen. Wir unterstützen sie in dem, was sie nicht mehr können. Anfangs beraten wir vor allem und versuchen, den Patienten die Sorgen zu nehmen. Es gilt, das große schwarze Loch auszuleuchten, in das die Menschen gestürzt sind. Das bringt den Menschen Ruhe. Und wir erinnern sie an die Basics: Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung. Wer für den Patienten spricht, muss auch den Willen kennen.
Wie stellen Sie denn sicher, diesen ganz unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden zu können?
Indem wir in der Palliativmedizin viele Berufsgruppen unter unserem Dach haben. Wir haben Sozialarbeiter, die zuhören, welche Sorgen es gibt, die Rechtsexperten kennen und Hilfe vermitteln. Das Gleiche gilt für den Bereich Spiritualität: Wir stellen die Kontakte her zu Seelsorgern für jeden Glauben oder auch andere Bedarfe. Und natürlich sind bei uns auch Psychologen an Bord. Wir wissen, dass starke Schmerzen nur ein Aspekt einer schweren Krankheit sind. Nur Morphin hilft nicht! Unsere Aufgabe ist, den Menschen und ihren Angehörigen ganzheitlich zu helfen. Und das ist nicht mehr möglich, wenn wir erst in der Sterbephase hinzukommen.
Unterscheidet sich die Palliativmedizin im Krankenhaus vom Hospiz und den ambulanten Diensten?
Das Prinzip gilt für alle Bereiche – zu Hause, im Krankenhaus, im Hospiz oder in einer Pflegeeinrichtung. Die Uniklinik Essen hat auf der palliativen Station zwölf Betten, die reichen lange nicht aus, den Bedarf zu stillen. Deswegen werden in Krankenhäusern zunehmend palliativmedizinische Dienste gebildet, die ebenfalls aus Ärzten, Pflegenden, Psychologen und Sozialdienst bestehen. Die Teams gehen dann auf die jeweiligen Stationen und versorgen dort die Patienten, die Bedarf haben. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch der Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung. Wir können die Patienten nicht weiter versorgen, wenn sie das Krankenhaus verlassen, aber wir nehmen Kontakt zu Versorgern vor Ort auf und vermitteln Unterstützung. Und wir signalisieren allen, die vielleicht jetzt noch keine direkte engmaschige palliative Begleitung brauchen, dass wir jederzeit Ansprechpartner für alle Sorgen sind, die mit ihrer Situation zusammenhängen.
Wie schätzen Sie das ein: Ist die Versorgung flächendeckend so gut, dass das immer so funktioniert?
Sagen wir so: Es wird immer besser. Die Strukturen sind nicht festgelegt. An vielen Orten klappt es gut, an manchen nicht. Oft hängt es an engagierten Hausärzten, die sich bemühen und Vernetzungen schaffen.
Mediziner wollen klassischerweise heilen. Sie aber haben sich auf Palliativmedizin spezialisiert und begleiten Menschen beim Sterben. Warum?
Ich bin ursprünglich Lungen- und Bauchchirurg und hatte sehr viele Jahre Freude und Erfüllung in meinem Beruf. Aber mir war stets das Ganzheitliche und Interdisziplinäre wichtig, und das ist als Chirurg dann doch eher schwierig. Ich habe mich umorientiert und auf die Palliativmedizin spezialisiert. Ich habe auch als Chirurg viel Dankbarkeit erlebt, aber in den ganzen 40 Jahren nicht annähernd so viel wie in den Jahren als Palliativmediziner. Palliativmedizin ist radikal patientenorientiert, und das mag ich sehr. Die Menschen, denen wir begegnen, stehen mit dem Rücken an der Wand, sie sind dankbar für jede Hilfe. Für mich ist dieser Berufsweg ideal: Ich habe viele Menschen gesund gemacht und viele Erfahrungen sammeln können, nun kann ich sie auf dem späten Weg begleiten. Sich schon im Studium der Palliativmedizin zu verschreiben, stelle ich mir emotional sehr schwierig vor. Man muss auf sich aufpassen.
Wo ist ein Sterbender besser aufgehoben: zu Hause, auf der Palliativstation oder im Hospiz?
Es kann überall gut sein. Im eigenen Haushalt kann es schön sein und gut funktionieren, im Hospiz ebenso. Es gilt, schwierige Zeiten gut zu gestalten. Niemand sollte abgeschoben werden. Dazu müssen wir den Tod aus der Tabuzone holen und akzeptieren: Menschen sollten sterben dürfen, wie sie gelebt haben. Jemand, der im Leben im Zentrum stand, wird es auch im Sterben tun wollen. Und wer sich lieber zurückzog, wird nicht plötzlich im Zentrum des trubeligen Wohnzimmers liegen wollen. Das Wichtige ist, was der Patient will. Das zu erkennen und zu unterstützen, ist unser Auftrag.
Die letzte Lebensphase und das Sterben eines Menschen zu begleiten und Trauernden zur Seite zu stehen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Zu diesem Zweck hat die AOK Rheinland/Hamburg in den letzten Jahren eine nahezu flächendeckende allgemeine ambulante Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen geschaffen. Spezielle Haus- und Fachärzte, qualifizierte Palliativärzte und Palliativ-Pflegedienste versorgen innerhalb regionaler Netzwerke im Bedarfsfall die Patienten 24/7. So können lange stationäre Aufenthalte vermieden und Patienten sowie Angehörige entlastet werden. Im Fokus der Palliativversorgung stehen Patienten mit einer nicht heilbaren fortschreitenden Erkrankung. Sie haben eine begrenzte Lebenserwartung und leiden an den körperlichen Symptomen dieser Erkrankung und den mit ihr einhergehenden psychosozialen und spirituellen Problemen.
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Letzte Änderung: 08.12.2022
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