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Endometriose-Expertinnen im Interview: „Der Leidensdruck ist groß“

InterviewLesezeit: min.
Frau sitzt auf dem Sofa und hält die Hand auf den schmerzenden Bauch

Bildnachweis: © stock.adobe.com / LuxeShutter24/peopleimages.com

Viele Endometriose-Patientinnen* erhalten erst nach jahrelangen Beschwerden eine Diagnose. Neben den körperlichen Schmerzen kann dies für die Psyche sehr belastend sein. Michelle Röhrig und Katharina Wittek von der Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. erzählen im Interview, wie hoch der Leidensdruck sein kann, was sich in Medizin und Forschung tut und was Betroffenen im Alltag hilft.

*Es sind immer alle Menstruierenden gemeint.

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Die Expertin zum Thema

Katharina Wittek

stellv. Vorstandsvorsitzende der Endometriose Vereinigung Deutschland e.V. und selbst Endometriose-Betroffene

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Die Expertin zum Thema

Michelle Röhrig

Vorstand Finanzen bei der Endometriose Vereinigung Deutschland e.V. und selbst Endometriose-Betroffene

Warum dauert es bei vielen Betroffenen so lange, bis Endometriose erkannt wird?

Redaktion

Zum einen ist die Krankheit in der breiten Bevölkerung zu wenig bekannt, weshalb man als Betroffene oft erst spät oder gar nicht auf den Gedanken kommt, es könne Endometriose sein. Zum anderen steht sie bei vielen Ärzten nicht so sehr im Vordergrund, wie wir es uns wünschen würden.

Michelle Röhrig

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Sie fragen sich, ob Sie selbst von Endometriose betroffen sind? Machen Sie den Selbsttest. Mehr Informationen über die Krankheit bietet der Artikel Was ist Endometriose.

Viele vorwiegend weibliche Krankheiten sind noch zu wenig erforscht. Haben Sie in den vergangenen Jahren insbesondere bei Endometriose Fortschritte beobachten können?

Redaktion

Ja, es gibt mehr Spezialisten, mehr Kliniken und eine bessere Diagnostik. Im vergangenen Jahr gab es endlich Forschungsgelder für Endometriose, sodass nun fünf Forschungsverbünde unabhängig voneinander daran forschen können. Allerdings fokussieren sich viele eher auf die Symptome, wie Schmerzen oder einen unerfüllten Kinderwunsch, und nicht auf die Ursache. Aber die Aufmerksamkeit für das Thema ist größer geworden. Es gibt immer wieder Beiträge im Fernsehen, und Social Media spielt eine sehr große Rolle. Immer mehr Frauen wissen über die Krankheit Bescheid und es gibt heute mehr diagnostizierte Fälle als noch vor fünf oder zehn Jahren.

Katharina Wittek

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Die Forschungsprojekte sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz bringt das den Betroffenen im Moment noch nichts. Bis erste Ergebnisse vorliegen und daraus dann etwas umgesetzt wird, wird es noch dauern.

Michelle Röhrig

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Wie können gerade auch Medizinerinnen und Mediziner für das Thema sensibilisiert werden?

Redaktion

Es gibt Mediziner, die sich schon sehr intensiv mit Endometriose beschäftigen, vor allem in den zertifizierten Endometriosezentren. Sie tun viel, um dafür mehr Bewusstsein zu schaffen, zum Beispiel im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft Endometriose. Das muss sich aber noch viel weiter verbreiten.

Michelle Röhrig

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Endometriosezentren müssen für ihre Zertifizierung alle paar Jahre Informationsveranstaltungen anbieten und dazu laden sie immer auch niedergelassene Gynäkologen ein. Diese Veranstaltungen sind aber nicht verpflichtend für die Gynäkologen und vielen fehlt schlichtweg das Interesse. Eine Verpflichtung zur Weiter- oder Fortbildung zum Thema Endometriose wäre also schon Gold wert.

Katharina Wittek

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Viele Betroffene leiden eine lange Zeit an Symptomen, bevor sie eine Diagnose bekommen. Wie erleben sie die Zeit dazwischen?

Redaktion

Der Leidensdruck ist groß, vor allem, weil man häufig einfach nicht ernst genommen wird. Man wird nicht gehört, die Probleme werden häufig in die psychische Schublade gesteckt. Und bei vielen dauert es, bis ein Arzt oder jemand aus dem eigenen Umfeld die Idee hat: Es könnte Endometriose sein. Viele müssen sich tatsächlich erst mal selbst schlaumachen, recherchieren lange, fragen ChatGPT: Was bedeuten diese Symptome? Auch heute dauert es teilweise noch Jahre, bis eine Diagnose gestellt wird. Und bis dahin sind viele Betroffene echt verzweifelt.

Katharina Wittek

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Ich habe selbst Endometriose und würde diese Zeit bei mir als zermürbend beschreiben. Zum einen, weil das psychisch ganz viel mit einem macht. Wer immer und immer wieder nicht ernst genommen wird, fragt sich irgendwann auch selbst: Ist es jetzt wirklich so schlimm? Hängt das jetzt wirklich alles zusammen oder bilde ich mir das nur ein? Und zum anderen kommen mit der Zeit auch oft neue Symptome hinzu. So steigt auch die körperliche Belastung über die Jahre an.

Michelle Röhrig

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Wann wurden Sie mit Ihrer Erkrankung zuletzt nicht ernstgenommen?

Redaktion

Zuletzt vor zwei Jahren, als ich mit akuten Beschwerden in der Ambulanz war. Dort habe ich erst vier Stunden gewartet, und aufgerufen wurde ich dann mit den Worten: „Na, wenn Sie noch laufen können, kann es ja nicht so schlimm sein.“ Da hatte ich ja schon längst eine Diagnose, aber ich habe sofort wieder gezweifelt und mich gefragt, ob ich die Schmerzen jetzt eigentlich aushalten müsste – was natürlich Quatsch ist. Solche Schmerzen sind nicht normal und die muss niemand aushalten!

Michelle Röhrig

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Wie schaffe ich es, mit dem Gefühl umzugehen, nicht ernst genommen zu werden?

Redaktion

Unter Gleichgesinnten zu sein und sich auszutauschen – zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe –, hilft sehr. Auch Vertrauenspersonen in der Familie oder im Freundeskreis sind sehr wertvoll. Menschen, zu denen ich sagen kann: „Du kannst mir zwar nicht so richtig helfen, aber ich brauche gerade einfach mal jemanden, bei dem ich alles rauslassen kann, damit es mir danach besser geht.“ Und ganz, ganz wichtig ist die Selbstverantwortung. Wenn ich möchte, dass es besser wird, muss ich es leider selbst in die Hand nehmen und Verantwortung für meine eigene Gesundheit übernehmen.

Michelle Röhrig

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Und wie kann ich Ärzten am besten begegnen?

Redaktion

Vorbereitung. Was sind meine Fragen? Mit welchen Antworten will ich aus dem Termin rausgehen? Was sind meine Ziele? Möchte ich zum Beispiel klären, ob ich eine OP verfolgen oder ein bestimmtes Medikament nehmen soll? Sich vor dem Arzttermin Gedanken zu machen und diese dann auch aufzuschreiben und mitzunehmen, ist sinnvoll. Das gibt Sicherheit und zeigt dem Arzt direkt, dass man weiß, wovon man spricht.

Michelle Röhrig

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Es kann auch helfen, eine Begleitperson mitzunehmen, die einem den Rücken stärkt. Und: Letzten Endes sind Ärzte auch nur Menschen und keine Götter in Weiß. Auch denen darf man sagen: „Sorry, wir müssen hier vielleicht noch mal von vorne anfangen, wir reden gerade aneinander vorbei.“

Katharina Wittek

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Wie sind Sie darauf gekommen, dass es bei Ihnen Endometriose sein könnte? 

Redaktion

Ich war sechzehn und hatte schon ungefähr drei Jahre Beschwerden. Das wurde aber ganz lange als Blasenentzündung oder Stress in der Schule abgetan. Und dann fiel in einem Gespräch mit meiner Gynäkologin in einem Halbsatz das Wort Endometriose – direkt mit dem Nachsatz: „Aber nein, dafür sind sie eh zu jung, das können Sie gar nicht haben.“ Aber ich habe den Begriff aufgeschnappt und mich darüber informiert, erst dann konnte ich weitere Schritte gehen und habe die ärztliche Diagnose bekommen.

Michelle Röhrig

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Was hat sich für Sie mit der Diagnose verändert?

Redaktion

Die war mit sehr gemischten Gefühlen verbunden. Auf der einen Seite war ich erleichtert – ich hatte es mir nicht eingebildet, ich hatte jetzt etwas Konkretes in der Hand, und gegen die Symptome konnte ich etwas tun. Auf der anderen Seite wusste ich dann aber auch, dass ich eine chronische entzündliche Erkrankung habe, die mich das ganze Leben lang begleiten wird.

Michelle Röhrig

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Frau mit Headset beantwortet Kundenanfragen

AOK-Clarimedis

Medizinische Informationen am Telefon unter 0800 1 265 265.

Was kann das Umfeld tun, um das Thema sichtbarer zu machen und Betroffene zu unterstützen?

Redaktion

Zuallererst: Menschen mit ihren Symptomen ernst nehmen! Im Arbeitsumfeld zum Beispiel ist es sehr unterschiedlich, wie Betroffene mit der Erkrankung umgehen, ob sie sie überhaupt preisgeben und in welchem Ausmaß. Aber ganz gleich, wie Sie es handhaben, Ihre Kollegen und Führungskräfte sollten das einfach akzeptieren und keine komischen Kommentare machen. Ich erinnere mich an eine Situation in einem Team aus rein männlichen Kollegen, da musste ich an einem Tag sehr oft auf die Toilette. Und dann hat einer von ihnen mich vor allen anderen laut gefragt, ob ich eigentlich eine Blasenentzündung hätte oder was heute mit mir los sei. Also, sowas geht gar nicht. Man kann jemanden beiseite nehmen und sagen: „Mensch, mir ist aufgefallen, du bist heute irgendwie viel unterwegs. Geht es dir gut, kann man irgendwas tun?“ Das wäre nett und rücksichtsvoll gewesen.

Michelle Röhrig

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Was sind weitere Herausforderungen am Arbeitsplatz?

Redaktion

Natürlich die vielen Krankheitstage – das kommt bei vielen nicht gut an. Aber auch da ist es wichtig, in die Selbstverantwortung zu gehen und zu sagen: „Ich bin jetzt krank, ich kann nicht anders.“ Und wenn der Arbeitgeber oder die Kollegen das nicht akzeptieren, das Gespräch zu suchen. Und ansonsten dürfen Sie sich ruhig umschauen, ob Sie einen Job finden, wo Ihnen mehr Verständnis entgegengebracht wird. Sie müssen nicht alles aushalten. Und Stress ist ein enormer Trigger für Schmerzen und andere Symptome.

Katharina Wittek

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Abseits vom Job, welche weiteren Vorurteile begegnen Betroffenen im Alltag?

Redaktion

Ich weiß von einer Betroffenen, die einen Schwerbehindertenausweis beantragen wollte, der einem bei Endometriose zusteht, und die zu hören bekam, sie wolle den Ausweis doch nur für den besseren Parkplatz vor dem Supermarkt. Und ansonsten hört man wirklich oft dieses: Stell dich nicht so an. Vor kurzem hatte ich einen Infostand auf einer Veranstaltung und da kamen zwei ältere Damen zu mir und fragten, um welches Thema es bei mir gehe. Als ich es erklärte, sagten beide: „Ach, naja, das sind halt Regelschmerzen! Das war schon immer so und das sage ich auch meiner Tochter immer, dass sie das aushalten muss.“

Michelle Röhrig

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Wirkt sich die Erkrankung auch auf Sexualität und Partnerschaft aus?

Redaktion

Für das nicht betroffene Umfeld ist es oft schwierig, zu verstehen, was genau die Krankheit bedeutet. Wenn man, wie in meinem Fall zuletzt, einen Partner erwischt, der nicht gut damit umgehen kann, und wo die Beziehung schließlich auseinandergeht, denkt man natürlich viel über die Rolle der Erkrankung nach. Sie macht einem das Leben an der Stelle ein bisschen schwerer. Ich gehe auch zur Psychotherapie und in meinem Erstgespräch habe ich gesagt, dass ich für niemanden ein Klotz am Bein sein will. Das sagt sehr viel über das eigene Selbstbild aus. Aber das ist ein Negativbeispiel. Es gibt auch ganz tolle und verständnisvolle Partnerinnen und Partner, die einem wirklich unter die Arme greifen und Beistand leisten.

Michelle Röhrig

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Welche weiteren psychischen Folgen kann die Erkrankung haben?

Redaktion

Da fallen mir zuerst absolute Selbstzweifel ein. Wenn meine Schmerzen immer abgetan und ich immer weiterverwiesen werde, zweifle ich irgendwann an mir selbst. Und das kann so weit gehen, dass es nicht mehr nur meine Erkrankung betrifft, sondern meine kompletten Handlungen und Entscheidungen in allen Lebensbereichen.

Katharina Wittek

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Betroffene sollten auch die Augen offen halten in Richtung depressiver Verstimmung. Depressionen stehen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Endometriose, aber aufgrund der ganzen sozialen Auswirkungen, die die Krankheit mit sich bringt, können sie eben eine Folge sein. Und auch Angst spielt eine große Rolle. Ich konnte zum Beispiel aufgrund all meiner Erfahrungen jahrelang die gynäkologische Vorsorgeuntersuchung nicht wahrnehmen.

Michelle Röhrig

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Wie steht es um die Ernährung bei Endometriose?

Redaktion

Das ist ein riesiges Thema! Früher gab es Empfehlungen wie: kein Zucker, keine Milchprodukte, kein Weizen, kein rotes Fleisch. Heute kann man meines Erachtens sagen: Eine antientzündliche Ernährung ist sinnvoll. Endometriose ist eine chronische entzündliche Erkrankung, deshalb sollte man möglichst alles vermeiden, was Entzündungen fördern kann – Kaffee und Zucker zum Beispiel. Aber ganz wichtig: Schauen Sie, was Ihnen tatsächlich guttut. Wenn Sie mit bestimmten Lebensmitteln Auslassphasen machen und merken, dass das gar keinen Unterschied macht, können Sie sie getrost weiter zu sich nehmen. Dann bitte einfach essen, worauf Sie Lust haben.

Katharina Wittek

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Welchen Umgang mit Schmerzen und psychischen Beschwerden können Sie empfehlen?

Redaktion

Auch Selbsthilfe ist sehr wichtig. Das Beschwerdebild einer Endometriose ist sehr unterschiedlich, deshalb muss man sich intensiv mit sich selbst beschäftigen. Informieren Sie sich gut, probieren Sie verschiedene Dinge aus, um zu finden, was Ihnen hilft. Und so paradox es auch erscheinen mag: Verlieren Sie nicht den Optimismus. Denken Sie daran, dass Sie immer Mittel und Wege finden werden, mit Ihrer Krankheit besser umzugehen.

Michelle Röhrig

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Hilfsangebote bei Endometriose

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Dr. Anke Leesemann, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe

Informationen zur Diagnose und Behandlung von Endometriose gehört bei AOK-Clarimedis zu den meistgefragten gynäkologischen Anliegen, die in vertrauensvollen Gesprächen beantwortet werden. Nutzen auch Sie ein Gespräch, in dem unsere medizinischen Expertinnen und Experten Informationen für Sie vermitteln und einordnen.

Dr. Bianca Milles, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe

Letzte Änderung: 12.03.2025