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Toxische Beziehung: Wenn die Partnerschaft Gift ist

ArtikelLesezeit: 3:00 min.
Paar sitzt mit verschränkten Armen nebeneinander.

Bildnachweis: © istockphoto.com / PeopleImages

Vorwürfe, Schuldzuweisungen oder gar Drohungen: Wenn die Beziehung mehr schadet als glücklich macht, ist es Zeit zu handeln. Wer besonders anfällig für toxische Beziehungsmuster ist und was man selbst tun kann, um sich davor zu schützen.

Expertenbild

Der Experte zum Thema

Andreas Kirsche

Paartherapeut, Hamburg

Was versteht man unter einer toxischen Beziehung?

Eine feste Definition oder Diagnose einer toxischen Beziehung gibt es nicht. Klar ist aber: Sie kostet einen von beiden viel Kraft. „Das Leben in einer toxischen Beziehung ist ein Leben zwischen Extremen: Es gibt einen ständigen Wechsel zwischen Paradies und Katastrophe“, sagt Andreas Kirsche, Paartherapeut und Beziehungscoach aus Hamburg.

Es ist nicht gemeint, dass ein Paar mal in einer Krise steckt oder heftig streitet. Vielmehr ist ein langfristiges Muster zu erkennen: „Die Bedürfnisse des einen Partners stehen im Vordergrund und werden beharrlich eingefordert. Der andere Partner hat die Aufgabe, diese Bedürfnisse zu erfüllen“, erklärt Kirsche. „Diese Beziehungen sind geprägt von Dominanz, Kontrolle, Abwertung und Egoismus.“ Solch eine vergiftete Beziehung kann krank machen – seelisch und körperlich. Das Problem: Wer selbst Teil einer solchen Beziehung ist, merkt das meist nicht direkt.

In Deutschland war mehr als jeder Dritte schon mal Teil einer toxischen Beziehung. Etwa ebenso viele kennen eine Person, die davon betroffen war.

Laut einer aktuellen Studie leben Frauen häufiger in einer ungesunden Beziehung als Männer (41 Prozent vs. 31 Prozent).

Welche Ursachen hat eine toxische Beziehung?

Eine toxische Beziehung kann unterschiedliche Ursachen haben. „Oft finden dort Menschen zusammen, die sich auf eine ungesunde Art ergänzen“, sagt Kirsche.

Seiner Erfahrung nach sind etwa Menschen, die eine Persönlichkeitsstörung aufweisen besonders anfällig. Ebenso wie Menschen, die emotional instabil sind oder wenig Empathie gegenüber ihren Mitmenschen aufweisen. Das träfe etwa auf Narzissten oder Borderliner zu. Menschen, die zur Selbstaufgabe und zur Co-Abhängigkeit neigen, sind nach Ansicht des Experten der entsprechende Gegenpart in einer toxischen Beziehung.

Gibt es Menschen, die besonders anfällig für eine toxische Beziehung sind?

Es gibt Faktoren, die ungesunde Beziehungen begünstigen. Mangelndes Einfühlungsvermögen des dominanten Parts beispielsweise. „Der schwächere Partner hingegen fühlt sich tendenziell unterlegen“, sagt Kirsche. „Daher nimmt er Verhaltensweisen seines Partners hin, die eigentlich inakzeptabel sind“, ergänzt er. Ständige Kontrolle, Beleidigungen und Einschüchterungen schadeten dem Selbstwertgefühl zusätzlich.

Wer sich nicht zutraut, mit Krisen und Rückschlägen allein fertig zu werden, ist häufiger Teil einer ungesunden Beziehung. „Die Angst vor dem Alleinsein und einem Dauersingle-Dasein lässt an Beziehungen festhalten, die schon längst nicht mehr guttun“, unterstreicht Kirsche. Auch finanzielle Abhängigkeit kann eine Rolle spielen.

Welche Anzeichen sprechen für eine toxische Beziehung?

Die Anzeichen sind individuell verschieden. Zu den typischsten Anzeichen gehören:

  • Die Beziehung raubt einem Partner über weite Strecken Kraft.
  • Stetiger Wechsel zwischen Verletzung und Versöhnung.
  • Häufige Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Drohungen eines Partners.
  • Eine Person lebt selbstzentriert, egoistisch und geht kaum ein auf die Wünsche des anderen.
  • Eine Seite lebt extreme Stimmungsschwankungen aus.
  • Ein Partner hat das Gefühl, sich ständig verstellen zu müssen.
  • Kaum soziale Kontakte außerhalb der Beziehung, etwa aus Eifersucht.
  • Ein Leben ohne den anderen scheint kaum möglich.

„Diese Alternativlosigkeit hat Suchttendenzen“, ergänzt Kirsche. Eine Trennung sei ähnlich schwierig wie der Entzug von einer harten Droge. Rationale Argumente und das Wissen, dass die Beziehung einem selbst schade, treten in den Hintergrund.

Frau mit Headset am Computer.

AOK-Clarimedis

Medizinische Hilfe am Telefon.

Wie kann ich mich in einer vergifteten Beziehung schützen?

Ein Patentrezept gibt es leider nicht. „Nicht in der Opferrolle steckenbleiben“, lautet der erste Rat des Experten. „Es gilt herauszufinden, wodurch der toxische Partner so leichtes Spiel beim Schwächeren hatte.“

Der unterdrückte Part sollte sich fragen, welche Faktoren ihn empfänglich machten für den dominanten, manipulativen Partner. Welche Ängste sollte der Partner beruhigen? Welche Bedürfnisse sollte er stillen? „Wer seine Persönlichkeit und seine Bedürfnisse kennt, hat einen besseren Sinn dafür, wann ein anderer keinen Respekt davor zeigt“, fasst Kirsche zusammen. Betroffene sollten sich klar machen: Respekt und Empathie sind nicht verhandelbar. Sie sollten nicht an Argumente oder Bedingungen geknüpft werden.

Tipps, woran der schwächere Part arbeiten kann:

  • Lernen, Grenzen zu setzen und auszuhalten, dass der Partner sich eventuell darüber ärgert
  • Lernen, sich selbst zu beruhigen
  • Selbstachtung und Selbstentwicklung fördern, etwa durch eigene Hobbys
  • Bestätigung, Freude und Trost außerhalb der Beziehung suchen
  • Eigene Entscheidungen treffen
  • Sich nahestehenden Menschen anvertrauen, um die Sicht Außenstehender zu erfahren
  • Rückzugsort gestalten (nützlich, falls die Situation eskaliert)
  • Wenn nötig, therapeutische Hilfe oder Beratungsangebote nutzen

Ich will die Beziehung beenden, was rät der Experte?

Jede Beziehung ist individuell. Doch eine toxische Beziehung lässt sich nicht in eine Partnerschaft auf Augenhöhe weiterentwickeln. Umso wichtiger ist es, konsequent zu bleiben, wenn der Entschluss gefallen ist, sich zu trennen: „Man sollte sich von der Hoffnung verabschieden, dass der andere sich ändern wird, wenn man ihn nur genug liebt“, erklärt der Beziehungscoach.

Kontakt zu anderen Menschen in toxischen Beziehungen und Selbsthilfegruppen – zum Beispiel für Partner von Narzissten – finden Interessierte unter anderem beim KISS Hamburg (Kontakt- und Informationstellen für Selbshilfegruppen) oder beim Paritätischen NRW.

Anlaufstellen für Frauen, etwa bei häuslicher Gewalt, sind zum Beispiel Patchwork in Hamburg, die Frauenberatungsstelle Düsseldorf oder das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, das Sie rund um die Uhr kostenlos und anonym unter 08000 116 016 anrufen können.

 

Letzte Änderung: 17.06.2021