Hendrik Verst ist Vater von fünf Kindern. Ohne ein Spenderorgan würde er vermutlich heute nicht mehr leben. Der 36-Jährige macht sich seitdem für Organspende stark und erzählt von seinen Erfahrungen.
Der fünffache Familienvater bekam 2021 eine Organspende.
Sie haben vor einem halben Jahr eine neue Leber bekommen. Warum waren Sie auf ein Spenderorgan angewiesen?
Ich habe vor sechs Jahren die Diagnose Autoimmunhepatitis bekommen. Ich hatte bis zu dem Tag keine körperlichen Beschwerden, sondern war fit und sportlich – und plötzlich hatte ich eine Leberzirrhose im Endstadium. Mein Immunsystem hatte meine Leber zerstört. Schnell wurde klar, dass ich in den nächsten Jahren eine neue brauchen werde.
Sind Sie direkt auf die Transplantationsliste gekommen?
Nein, das war noch nicht nötig. Ich bekam Immunsuppressiva und konnte damit ein weitestgehend normales Leben führen (Anm. der Redaktion: Immunsuppressive Medikamente schränken die Funktion des Immunsystems ein und können dabei helfen, dass ein erkranktes Organ nicht weiter vom eigenen Immunsystem angegriffen und ein transplantiertes Organ nicht abgestoßen wird).
Und was passierte danach?
Die Medikamente brachten viele Nebenwirkungen wie eine extrem vergrößerte Milz oder Krampfadern in der Speiseröhre mit sich. Ich wurde engmaschig untersucht. Vor anderthalb Jahren aber kam ich als Notfall in die Klinik, da musste es plötzlich schnell gehen. Ich nahm stark ab, hatte acht Liter Wasser im Bauch und war fast zu schwach für ein Spenderorgan. Eine gewisse körperliche Verfassung ist entscheidend dafür, überhaupt auf die Transplantationsliste zu kommen.
AOK-Clarimedis
Medizinische Hilfe am Telefon.
Wie lange standen Sie anschließend auf der Liste, bevor Sie letztlich eine Leber erhalten haben?
Doch noch fast ein ganzes Jahr voller Hoffen und Bangen. Ich habe insgesamt fünf Angebote erhalten – aber leider war es viermal nicht das passende Organ für mich. Weil es mir so schlecht ging, durfte ich nur eine Leber in einem sehr guten Zustand erhalten.
Können Organe, die für Sie nicht infrage kamen, grundsätzlich nicht transplantiert werden?
Doch. Bei Menschen, die einen guten Allgemeinzustand haben, sind die Anforderungen anders. Ebenso bei Menschen, die aufgrund einer anderen Erkrankung eine Leber brauchen, zum Beispiel Leberkrebs im Frühstadium. Ihr Körper ist stark – im Gegensatz zu meinem damals. Zweimal war ich auch nur als Backup im Krankenhaus, falls der andere Patient auf der Liste nicht rechtzeitig erscheint oder aufgrund eines Infektes zum Beispiel nicht transplantabel ist. Man muss sich das so vorstellen: Viel Zeit bleibt nicht, wenn der Anruf kommt. Und das Ganze war mitten in der dritten Corona-Welle!
Wie haben Sie die lange Wartezeit überstanden?
Da wir recht schnell das erste Angebot bekommen hatten, waren wir euphorisch. Mit der Zeit stumpft man emotional ein wenig ab. Mir ging es sehr schlecht. Ein grippaler Infekt oder Covid-19 hätte meinen Tod bedeuten können. Allen war klar: Ich stehe auf dieser Liste – nicht, weil es gut wäre, ein neues Organ zu bekommen, sondern weil ich um mein Überleben kämpfe. Im November kam dann der rettende Anruf.
Diesmal ist alles glatt gelaufen?
Ich habe ein Transplantat bekommen. Das Spenderorgan war perfekt. Als die Ärztin um die Ecke kam und ein Signal gab, dass wir starten können, war es ein einzigartiges Gefühl. Ich war voller Freude und Hoffnung. Ich hatte aber natürlich auch Angst – vor der OP und vor einer Abstoßung. In einem solchen Fall hätte man nur 48 Stunden Zeit, ein neues Organ zu finden. Mit diesem Gedanken ging ich in die OP und ich habe alle gemahnt: „Ich habe eine Frau und fünf Kinder. Das sind viele Menschen, die mich brauchen. Ihr müsst das hinkriegen!“
Und was haben Sie gedacht, als Sie aufgewacht sind?
Ehrlich: Ich weiß es nicht. Die erste Woche auf der Intensivstation war schlimm. Mir ging es schlecht, ich wurde noch beatmet. Der Körper braucht Zeit, eine Transplantation zu verarbeiten. Ich brauchte Blutkonserven, hatte einen kleinen Infekt mit Fieber. Es ist halt von der Natur nicht so vorgesehen, dass ein Organ einfach so getauscht wird. Aber ich konnte mich darauskämpfen. Nach sieben Tagen konnte ich von der Intensiv runter und ab da wurde es besser. Nach etwa zwei Wochen war ich zu Hause.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich muss mein Leben lang Immunsuppressiva nehmen. Wegen meiner Autoimmunerkrankung sowieso und natürlich auch wegen des Transplantats, da das Immunsystem es sonst abstoßen würde. Ich werde deswegen engmaschig überwacht. Heute geht es mir fantastisch. Ich bin fit, könnte Bäume ausreißen, habe zugenommen und auch sehr gute Leberwerte.
Werden Sie die Leber ein Leben lang behalten können oder wird irgendwann eine neue Transplantation fällig?
So etwas wie eine Halbwertszeit des neuen Organs gibt es nicht. Wenn es gut läuft, bleibt die Leber für immer bei mir. Mittlerweile sind die Medikamente, die man zur Immunsuppression erhält, auch gut verträglich, sodass ich damit die nächsten 30 bis 40 Jahre gut leben kann. Aber natürlich: Mir kann immer etwas geschehen – so wie jedem anderen Menschen auch.
Wie fühlt es sich an, mit dem Organ eines fremden Menschen zu leben?
Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass das Organ fremd ist. Ich spüre nur Dankbarkeit. Es ist in meinem Körper und sorgt dafür, dass ich leben kann. Und dass ich der Vater meiner Kinder und der Ehemann meiner Frau sein kann. Ich wurde im Vorfeld der Transplantation oft darauf angesprochen, wie es ist, darauf zu warten, dass jemand für mich stirbt. Aber: Meinetwegen ist der Mensch nicht gestorben. Die Person stirbt wegen eines Unfalls oder aufgrund einer Krankheit. Und bevor die Maschinen abgestellt werden, gibt es eben die Option der Organentnahme, mit der andere Menschen gerettet werden können. Dass diese Person sich dafür entschieden hat, dafür bin ich unglaublich dankbar.
Im FAQ-Organspende finden Sie häufige Fragen zum Thema Organspende und passende Antworten. Außerdem erklären wir, wie eine Organspende abläuft und was es dabei zu beachten gibt. Hier lesen Sie mehr zu Ängsten und Bedenken bei einer Organspende.
Was ist aus Ihrer Sicht das beste Argument für eine Organspende?
Jeder Dritte von der Transplantationsliste stirbt, bevor für ihn ein passendes Organ gefunden wird. Und es kann jeden sofort treffen. So wie mich: Ich fühlte mich vorher kerngesund. Jeder muss sich fragen und vorstellen: Was wäre, wenn es mir passiert? Wenn der Angehörige, das Kind etwa oder der Partner, ein Spenderorgan braucht? Dann möchte man, dass ein Spenderorgan zur Verfügung steht. Und wenn ich für mich entscheide, dass ich ein Organ nehmen würde, muss ich auch grundsätzlich bereit sein, eines zu geben.
Was muss denn getan werden, um mehr Menschen davon zu überzeugen?
Es muss beispielsweise noch mehr Aufklärung geben, was bei einer Organspende passiert. Die Menschen sollten mehr dazu aufgefordert werden, sich zu entscheiden. Das geht im Alltag einfach unter, wenn es die Notwendigkeit nicht gibt. Die Widerspruchslösung, wie sie in Österreich und in der Schweiz mittlerweile etabliert ist, macht insofern absolut Sinn. Da kann man sich dann aktiv dagegen entscheiden. Meine Aufgabe sehe ich darin, für die Organspende zu werben, indem ich meine Geschichte erzähle.
Hier gibt es den Organspendeausweis zum Ausdrucken und kostenlos zum Bestellen.
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Letzte Änderung: 01.06.2022
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