Der Klimawandel bricht mit Unwettern, Waldbränden und extremer Hitze über uns hinein. Vielen Menschen macht das zu schaffen, körperlich wie psychisch. Posttraumatische Belastungen, ein erhöhtes Suchtpotenzial und sogar mehr Suizide sind die Folgen. Hier können Wissensvermittlung und eine individuelle medizinische Beratung ansetzen.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Centre for Planetary Health Policy (CPHP)
Frau Baltruks, Überschwemmungen wie im Ahrtal 2021, verheerende Waldbrände oder auch ein Hurricane sind akute Ereignisse, die sehr traumatisch sind. Wie gehen Menschen damit um?
Solche Naturkatastrophen, die durch den menschengemachten Klimawandel häufiger und intensiver werden, sind sehr bedrohlich und können bei Betroffenen daher im schlimmsten Fall zu einer Reihe von psychischen Erkrankungen führen bzw. diese verschlechtern. Wir beobachten hier einen deutlichen Anstieg von post-traumatischen Belastungsstörungen, gerade auch wenn diese Erlebnisse mit dem Verlust des eigenen Besitzes oder sogar nahestehender Menschen einhergehen. In der Folge gibt es einen Anstieg von Angststörungen, Depressionen und Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch. Auch die Fälle von häuslicher Gewalt nehmen nach Naturkatastrophen oft zu. Ereignisse wie diese erzwingen außerdem häufig Migration, weil die Betroffenen in ihrem zerstörten Umfeld nicht weiterleben können. Auch das erhöht die psychische Belastung. Vor allem Kindern fehlt oft noch die Resilienz zum Umgang mit dem Erlebten.
Welche Art von psychischen Erkrankungen treten vermehrt auf?
Es ist mittlerweile bewiesen, dass sich während einer Hitzewelle Depressionen verstärken, ebenso Schizophrenie, Psychosen und Angststörungen. Demente Personen sind oft nicht in der Lage, sich aktiv gegen Hitzeeinflüsse zu schützen, weil sie die Warnsignale ihres Körpers weniger wahrnehmen. Es melden sich während extremer Hitzeperioden immer mehr Menschen aufgrund einer psychischen Notlage in den Notaufnahmen. Besonders besorgniserregend ist, dass auch die Suizidraten steigen.
Programm „MoodGym“
Aktiv aus der Depression.
Was genau passiert da in den Menschen?
Die Zusammenhänge sind noch nicht ausreichend erforscht, aber man vermutet, dass es temperaturbedingt ein Ungleichgewicht im Serotonin- und Melatoninstoffwechsel gibt, der zu Stimmungsschwankungen führen kann. Heiße Nächte belasten Körper und Psyche besonders, da die Erholungsphase gestört ist. Außerdem kommen psychosomatische Effekte zum Tragen: Geht es dem Körper nicht gut, leidet die Psyche und umgekehrt. Hinzu kommen soziale, ökonomische und umweltbedingte Faktoren: Wer an einer stark befahrenen Straße im Dachgeschoss wohnt, wird durch Lärm, Luftverschmutzung und Hitzeinseleffekte mehrfach belastet. Auch Menschen wie Erntehelfer oder Paketzusteller, die körperlich im Freien und oft unter Zeitdruck arbeiten, sind gefährdet. Besonders vulnerabel sind obdachlose Menschen, die oft bereits mit anderen Erkrankungen zu tun haben. Und Männer scheinen anfälliger für psychische Belastungen durch Hitze zu sein als Frauen.
Wie gehen junge Menschen mit den Folgen des Klimawandels um?
Es ist eine natürliche und nachvollziehbare Reaktion, dass der Klimawandel Ängste auslöst. Wir beobachten das vor allem bei den jungen Menschen. Eine 2021 durchgeführte Umfrage unter 16- bis 25-Jährigen aus zehn Ländern zeigte, dass 60 Prozent sehr besorgt sind über den Klimawandel und sogar 77 Prozent die Zukunft generell für beängstigend halten. Das sind schockierende Zahlen. Den jungen Menschen macht vor allem der fehlende Klimaschutz zu schaffen – das Gefühl, die erwachsenen Generationen unternehmen nicht genügend, um die nachfolgenden Generationen zu schützen. Das löst Hilflosigkeit und auch Machtlosigkeit aus. Solche Emotionen sind erst einmal eine gesunde Reaktion. Sie können aber langfristig belastend sein und bei einigen eher in Verdrängung, Fatalismus oder auch einer Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen münden.
Was wäre ein guter Umgang mit solchen Gefühlen?
Darüber zu reden und gemeinsam mit anderen aktiv zu werden. Die Mehrheit der Bevölkerung sorgt sich inzwischen vor den Folgen des Klimawandels. Wenn sie dann im offenen Austausch entdecken, dass es anderen auch so geht, kann das helfen, sich nicht allein und hilflos damit zu fühlen. Und wenn sie sich dann noch gemeinsam im Klimaschutz engagieren, hilft das auch. Diese Selbstwirksamkeit, das Gefühl, ich kann etwas tun, gibt Kraft und Zuversicht für die Zukunft. Ganz wichtig ist aber auch, positive Nachrichten zu Fortschritten im Klimaschutz wahrzunehmen – oder sich mal eine richtige Auszeit von dem ganzen Thema zu gönnen. Es geht darum, hier eine gute Balance zu finden.
Menschen, die aufgrund von Unwetterereignissen unter einer posttraumatischen Belastung leiden, könnte eine psychotherapeutische Begleitung helfen. Aber wie ist das händelbar, wenn ihre Zahl durch die Häufung von Wetterextremen so sehr ansteigt?
Die fachliche Betreuung bei posttraumatischen Belastungsstörungen ist sehr wichtig und eine Herausforderung, auf die sich das Gesundheitssystem nach solchen akuten Ereignissen einstellen muss. In den USA gibt es auch gute Beispiele für psychologische erste Hilfe nach Hurricanes oder anderen Katastrophen, die eine erste Versorgung ermöglichen. In Deutschland haben wir ja bereits einen Mangel an Psychotherapieplätzen. Dieses Problem muss unbedingt angegangen werden, auch im Hinblick auf einen möglicherweise steigenden Bedarf durch Folgen der Klimakrise.
Welche klimaspezifischen Hilfestellungen gibt es für die chronisch Erkrankten?
Für Menschen mit chronischen Erkrankungen kann neben der fachlichen Betreuung auch der Austausch in Selbsthilfegruppen hilfreich sein. Hier können Menschen zusammenkommen und sich gegenseitig beispielsweise im Umgang mit Hitzewellen unterstützen. Wir sehen aber auch, dass selbst die Menschen mit chronischen Erkrankungen, die bereits viel Kontakt mit medizinischem Personal haben, noch nicht gut genug beraten und gestärkt werden. Das Wissen über die Folgen von extremer Hitze auf den Körper und die Psyche muss auch auf professioneller Seite noch mehr ausgebaut werden. Das betrifft nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Sozialarbeiter und Pflegepersonal. Sie sollten ihre Patienten und Klienten gut zum Thema Hitzeeffekte beraten, aber auch ihre Behandlungszeiten entsprechend anpassen, indem sie für Risikogruppen mehr Zeitfenster am frühen Morgen oder späten Abend anbieten.
Selbsthilfe
So unterstützt die AOK.
Welche weiteren Präventionsansätze gibt es?
Das geht weit über die gesundheitspolitische Prävention hinaus und reicht bis in den Städtebau hinein. Wie können Großstädte hitzeresilienter werden? Wo können Kältezonen eingerichtet werden? Wie bekommen Menschen mehr Zugang zu Grünflächen und Schattenflächen? Und das Wichtigste ist natürlich, den Klimaschutz voranzutreiben. Es gibt bereits heute Orte auf der Welt mit solch hohen Temperaturen, an die sich der Mensch kaum noch anpassen kann.
Wie wichtig ist eine breitere Aufklärung in der Bevölkerung?
Sehr wichtig! Inzwischen wird zwar mehr über die gesundheitlichen Gefahren von Hitze berichtet, doch das psychische Wohlbefinden spielt dabei meist kaum eine Rolle. Insbesondere psychisch Vorerkrankte sollten wissen, dass extreme Hitze ihren Zustand verschlechtern kann. Sie sind dann in der Lage zu reflektieren, dass das der Grund ist, warum es ihnen akut besonders schlecht geht und können entsprechende Gegenmaßnahmen treffen – sei es zu Hause, am Arbeitsplatz oder auch gemeinsam mit den Gesundheitsfachleuten, mit denen sie zu tun haben.
Letzte Änderung: 10.07.2023
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