Rund 9 von 10 Deutschen besitzen (2021) ein Smartphone und möchten ungern darauf verzichten. Schließlich hat ein modernes Mobiltelefon viele Vorteile. Aber Achtung: Smartphones können süchtig machen.
Ärztlicher Leiter
Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Morgens piepst der Handywecker, noch während des Frühstücks überfliegen Sie ein paar E-Mails und in der Straßenbahn geht’s weiter mit Chat-Nachrichten. Im Job gehört ein Smartphone ebenfalls für viele zum unverzichtbaren Begleiter. Nicht nur im Homeoffice soll man quasi immer für Kunden und Kollegen erreichbar sein.
Zum Feierabend ordern Sie noch schnell per App das Abendessen, gucken nach den neusten Angeboten beim Discounter und prüfen schon mal, welche Termine der digitale Kalender für morgen anzeigt.
Selbst im Urlaub sind viele ständig mit dem Smartphone beschäftigt: um Routen zu planen, Schnappschüsse in sozialen Medien zu posten oder um für Freunde, Familie oder Kollegen erreichbar zu sein. Dass das Smartphone für viele zum Alltag gehört, ist normal. Doch Vorsicht: Die klugen Helfer haben Suchtpotenzial.
„Wer die Kontrolle über seine Smartphone-Nutzung verliert, am Handy sitzt, obwohl er oder sie negative Konsequenzen spürt, ist stark gefährdet“, beschreibt Rainer Thomasius. Er ist Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Andere Alltagsaktivitäten würden mit steigender Abhängigkeit zunehmend unwichtiger. „Um von einer Sucht zu sprechen, muss die Smartphone-Nutzung außerdem zu einer signifikanten Störung des täglichen Lebens in der Schule, der Familie oder anderen sozialen Kontexten führen“, stellt er klar.
Für Abhängige können schon kurze Zeitspannen ohne Handy zur Qual werden – zum Beispiel ein Flug oder eine plötzliche Funkstille wegen eines leeren Akkus. Um von einer Smartphone-Sucht zu sprechen, ist also nicht allein entscheidend, wie lange das Handy täglich genutzt wird.
Das Smartphone erfüllt im Alltag viele verschiedene Funktionen. Beruflich und privat nutzen es viele Menschen sehr regelmäßig. Deshalb verschwimmt die Grenze zwischen einer sinnvollen Nutzung und einer beginnenden Sucht schnell.
Die Vorteile liegen auf der Hand:
Das Smartphone kann fast alles wissen: Uhrzeit, Geburtstage, Termine, Adressen, was auf dem Einkaufszettel steht und wie lang die letzte Joggingrunde war. So lässt sich der Alltag verwalten. Dank Share-Button gemeinsam mit anderen und von überall aus.
Shoppen, Kochrezepte finden oder Geld überweisen: Apps und Internetzugang auf dem Smartphone erleichtern viele Dinge und bieten schnelle Anregungen.
Ob Musik, Videoclips oder Insta-Stories: Das alles bringt Spaß und vertreibt Langeweile. Sie können sich stundenlang berieseln lassen.
Likes, Kommentare und positive Antworten auf das in der Chatgruppe geteilte Urlaubsfoto tun uns gut. Denn all das sorgt dafür, dass das Wohlbefindlichkeitssystem im Gehirn aktiviert wird. Zudem können wir in sozialen Netzwerken unsere Neugier befriedigen: Wie sieht Jürgens neue Freundin aus? Und wertvolle Tipps sammeln: Welches Café begeistert Claudia?
Bei einer Smartphone-Sucht spielen mehrere Faktoren zusammen. „Betroffene sind häufig besonders ängstlich und stressempfindlich, auch soziale Unsicherheit spielt eine Rolle“, sagt Thomasius. Suchtgefährdete können ihre eigenen Emotionen oft nicht so gut steuern. Sie tun sich beispielsweise schwer damit, ihr Vorhaben umzusetzen, das Smartphone weniger zu nutzen. Oder sie können sich schwer motivieren, sich Hilfe zu suchen. Insbesondere bei jungen Smartphone-Süchtigen beobachtet der Experte außerdem, dass teils in der Familie Fürsorge und Kontrolle fehlen oder keine Alternativen zum Smartphone- und Internetgebrauch aufgezeigt werden.
Doch auch andere bestehende psychische Auffälligkeiten können eine Smartphone-Sucht begünstigen: „Defizite in der altersgerechten Entwicklung spielen bei Jugendlichen eine Rolle, genau wie Angststörungen, depressive Störungen oder das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom“, ergänzt Thomasius.
Jeder Deutsche sieht im Schnitt 53-mal pro Tag aufs Handy. Das heißt alle 18 Minuten unterbrechen wir unsere Tätigkeit, um aufs Smartphone zu schauen. Das ist das Ergebnis einer Studie des damaligen Informatikprofessors Alexander Markowetz von der Uni Bonn.
Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sind von einer Smartphone-Abhängigkeit betroffen. Denn 94 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen laut der JIM-Studie 2021 ein Smartphone, fast alle davon nutzen es täglich. Für sie ist das Gerät die erste Wahl, um ins Internet zu gehen.
Doch obwohl das Smartphone im Alltag eine feste Größe ist, bei Ärzten ist Handy-Sucht noch nicht klar definiert. „Die sogenannte Smartphone-Sucht ist kein medizinischer Begriff“, stellt Thomasius klar. Im aktuellen Diagnosekatalog der Ärzte sei nur die Computerspielstörung aufgeführt. Darüber hinaus werde die Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung anerkannt.
Immer On?
Onlinesucht an Schulen vorbeugen.
Smartphone-Sucht kann besonders bei Kindern und Jugendlichen die Entwicklung beeinträchtigen. „Fachleute beobachten Einschränkungen etwa bei kognitiven Funktionen, der Motorik und der Sprachentwicklung, sehen aber auch Bindungsstörungen“, erklärt der Experte.
Er warnt vor weiteren körperlichen Beeinträchtigungen: „Übergewicht aufgrund von Bewegungsmangel, Sehstörungen, Schlafstörungen, Erschöpfung, ein erhöhtes Stressniveau und Reizbarkeit werden auch bei betroffenen Erwachsenen beobachtet.“ Hinzu kämen soziale Folgen – etwa Vereinsamung oder Probleme in Ausbildung oder Beruf.
Im Zweifel kann Smartphone-Sucht für Sie und andere gefährlich sein. Wenn Sie beispielsweise so auf Ihr Handy konzentriert sind, dass Sie stolpern, einen Fahrradfahrer übersehen oder gar beim Autofahren abgelenkt sind.
Da Kinder das Verhalten ihrer Eltern oft abgucken, kommt den Eltern hier eine wichtige Funktion zu. Thomasius rät Eltern: „Zeigen Sie Interesse daran, welche Apps und Spiele Ihr Kind nutzt, schauen Sie, welche Seiten es besucht. So können Sie nachvollziehen, welche Bedürfnisse Ihr Kind dort befriedigen möchte und gemeinsam über Alternativen sprechen.“
Er hat noch weitere Tipps für Eltern:
Letzte Änderung: 03.02.2022
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